Tief in den Abgrund geblickt
Von Hans-Willi Hermans, 03.11.08, 19:10h, aktualisiert 03.11.08, 19:11h
Bei seinem einzigen NRW-Konzert begeisterte Leonard Cohen das Publikum. Die 9000 Besucher in der Oberhausener König-Pilsener-Arena freuten sich über stolze dreieinhalb Stunden, in denen sie gebannt den vielen Klassikern wie "Hallelujah" oder Suzanne" lauschten.
OBERHAUSEN - 15 Jahre war er nicht mehr auf Tournee, und sie haben ihn offensichtlich sehr vermisst. Die rund 9000 Besucher in der Oberhausener König-Pilsener-Arena jedenfalls erheben sich spontan, als Leonard Cohen die Bühne betritt.
Es folgen fast dreieinhalb Stunden, in denen der 74-Jährige seine Songs mit der Hingabe eines zärtlichen Liebhabers angeht: Er streichelt sie mit seiner rauen, tiefen und warmen Stimme, scheint ihnen ihre Geheimnisse abzulauschen - meist gebeugt, häufig kniend. Und ganz am Ende wird er sich gerührt beim Publikum bedanken: „Danke, dass ihr meine Lieder all die Jahre am Leben erhalten habt.“ Aber lebendig sind sie schon durch ihre oft verstörende Poesie, die vor keinem Abgrund zurückschreckt.
Die Suche nach Schutz und Erlösung
Gleich das erste Stück, „Dance me to the End of Love“, handelt von jüdischen KZ-Musikern, die nur überleben, weil sie für das SS-Pack zum Tanz aufspielen müssen. Es ist das Prekäre der Existenz, das sich durch die Lieder des Sängers aus Montreal zieht. Da geht es um die Suche nach Schutz, um „Herzen ohne einen Begleiter“, um die Unzulänglichkeit der Liebenden, die sich in Teil-Erlösungen wie Sex, Drogen, Religion, Einsamkeit, Musik oder Selbstmord flüchten.
Letzteres ausgenommen, hat sich Cohen selbst zeitlebens intensiv diesen Dingen gewidmet. Nun kann er gar nicht genug bekommen vom „Du dam dam dam, da du dam dam“ am Ende von „Tower of Song“: „Danke, ihr gebt mir einen wunderschönen Hintergrund für mein schäbiges Leben“, lobt er die Sängerinnen. Das ist ganz ohne Ironie gesagt und könnte lächerlich wirken. Doch der schmächtige Herr mit den markanten Zügen, dem stilvollen grauen Anzug und dem flottem Fedora-Hut ist seit 1996 offiziell Mönch eines Zen-Klosters und zeigt glaubwürdig, dass Demut am Platz ist, wo es um die letzten Rätsel geht. So scheint es, als habe Cohen diesen Hut nur aufgesetzt, damit er ihn immer wieder ziehen und vor sein Herz halten kann: Eine Geste, mit der er sich gern und oft bedankt. Und seine Lieder klingen lange nicht so überreizt und depressiv wie noch vor 35, 40 Jahren.
Sanft wiegende Rhythmen herrschen vor, zu denen Cohen auch mal tänzelt, selbst wenn er in „The Future“ sarkastisch wird: „Gebt mir die Berliner Mauer zurück, gebt mir Stalin und St. Paul. Ich habe die Zukunft gesehen, Brüder, sie ist mörderisch.“ Es verblüfft, wie gut auch die eher prophetischen Texte noch in unsere Gegenwart passen. Wo doch so viel passiert ist: „First we take Manhattan&“ Ja, ja. Man könnte bemängeln, dass die Arrangements für die sechs Begleitmusiker zu perfekt und poliert seien. Doch hier ist ja nicht der Rock der Maßstab, sondern das Chanson. So darf man jubeln über herausragend schöne Versionen von „Famous blue Raincoat“ und sogar „The Partisan“. Nur „ If it be your Will“ gerät kitschig, und ausgerechnet bei „Suzanne“ verhaspelt sich der Meister an der Gitarre ein bisschen mit dem neuen Arrangement.
Aber das sind nur kleine Ausrutscher. Immer wieder reißt es die Besucher von den Sitzen, wenn Klassiker wie „Hallelujah“ oder „So long, Marianne“ verklungen sind. Rührung ist fast mit Händen zu greifen, weil man spürt, wie da einer oft wütend und verwirrt gerungen hat. Wie es ihn vielleicht nicht zur letzten Wahrheit, aber zur Gelassenheit geführt hat. Ja, er hatte was von einer Meditation, dieser Abend auf einer Tournee, die Cohen in Nordrhein-Westfalen nur nach Oberhausen führte. Aber vielleicht kommt er doch noch mal, die Zeilen: „Hier ist ein Mann, der immer noch für dein Lächeln arbeitet“, singt Cohen jedenfalls ganz zum Schluss.
http://www.rundschau-online.de/html/art ... 3634.shtml